Die Macht der Dinge
Ein Atelierbesuch bei Andrej Henze, der Alltägliches – überdimensioniert – malt
Er ist ein eigenwilliger, für sein junges Alter fast auffällig konsequenter Mensch, gibt sich gradlinig, sachlich und präzise. Ein junger Mann, der mit beiden Füßen auf dem Boden steht. Ein Realist, eifrig, produktiv und leise, der nicht mit der Tür ins Haus fallen mag. Genauso wenig, wie er es für richtig hält, den Zeitgeist zu treffen. „Gegenständliche Malerei nach Fotografie ist nicht gerade das, was man heute von einem Kunststudenten erwartet.“ Andrej Henze ist 25 Jahre, gebürtig aus Hannover, und studiert an der Kunstakademie bei Rissa.
„Wenn die Malerei nicht da wäre, dann würde sie mir fehlen. Aber ich kann nicht jeden Tag malen.“ Und doch ist er ständig auf der Suche, nein, besser, er findet, was ihn umgibt. Eine Brille, ein Glas, ein Steckerkabel – Alltägliches, losgelöst von seiner Umgebung. Oft überdimensioniert, durch Ausschnitt, Platzierung und Schattenspiel der Funktionalität und Dinglichkeit enthoben. Sachlichkeit ausgeblendet, gerade durch die Gründlichkeit und Herrschaft des Details.
„Ich gebe nichts vor in meinen Bildern, aber bezwecke etwas. Was es ist, kann man nicht vorher bestimmen, das ergibt sich erst während des Malprozesses. Und wenn es nachher da ist, ist es gut.“ Hier sind es zwei Lochzangen, deren übergroße Schatten im Bild drohen. Dort ein liegendes Wasserglas, das den Blick tief ins Innere zieht.
Eine Anhäufung zusammengeklappter Stühle, Stoff und Lehnen im seltsamen Durcheinander aufgereiht. Ordnung und Chaos reichen einander die Hand. Und doch war es vorher genau so in der Fotografie zu sehen. Nur eine Kleinigkeit, eine Korrektur in der Farbe, schon ist sie weg, die Sicherheit über das, Was man sieht. Aus dem Rot der Kirchenstühle ist ein irritierendes Grün geworden. Ein Hauch von Natur und ein kräftig-kalter Wind aus klinischer Atmosphäre. Verlassen ist jeder Hinweis auf Religiosität, auf Mythos und Glaube. Was bleibt, gleicht einer wissenschaftlichen Studie.
Bilder, scharf, erkennbar und penibel genau. Detailgetreue in Öl auf Leinwand, die im Motiv schnell an den „Maschinenpark“ eines Konrad Klapheck oder im ausgeklügelten Miteinander von Fond, Blickwinkel und Ausschnitt an die Ausdruckskraft eines Norbert Tadeusz erinnern. Ganz so klar, wie es scheint, sieht man nicht. So starr sich Henzes Arbeit präsentiert, so sanft bewegt sie sich doch. Fotorealismus, eingetaucht in malerische Künstlichkeit. Tote Gegenständlichkeit, belebt durch Form, Farbe und Licht. Gelbe und türkisfarbige Fonds, die Unnatürlichkeit einträufeln.
Drei Gemälde hat Andrej Henze beim letzten Akademie-Rundgang verkauft. Auch sonst kann er sich über Ausstellungsmöglichkeiten und Interessenten nicht beklagen. Dennoch geht er sachlich an seine Zukunft, studiert zudem Geschichte an der Heinrich-Heine-Universität, um mit dem Lehramtsabschluss sein Studium zu beenden. „Einen Monat läuft es gut, dann wieder nicht. Das wäre mir auf die Dauer zu unsicher.“ Ein Leben ohne Perspektive auch. „Ich möchte mich später nicht mit Nebenjobs herumschlagen. Ich will schon planen können.“ Was dann kommt müsse man abwarten. Und das sicher bei Andrej Henze nicht im freien Fall.
Wenn er nicht malt, dann list er oder spielt E-Gitarre. Oder – auch das ist dann doch ein anderer, wenn auch nicht weniger konsequenter Andrej Henze – arbeitet an seiner Objektkunst. An Teebeuteln etwa, in Wachs gegossen und in gehämmertes und geklammertes Bleibleck gerahmt. Archaisch anmutende Gebilde, dem Konsum entwöhnt, der Natur verbunden, spröde und angerostet – aber gleichfalls in strenger Komposition.
Es sind die Augenblicke des Details, die Handabdrücke der Menschlichkeit auf dem Gegenstand, die Henze beherrscht. Welchen Stellenwert hat für ihn hierbei der Mensch? Ein Schmunzeln, eine schnelle Antwort: „Der Mensch nimmt sich oft zu wichtig.“ und sehen wir es doch mal realistisch: „Die Welt existiert auch ohne uns. Aber umgekehrt?“
Rheinische Post 12.04.2000 (Marion Stuckstätte)