Eröffnung der Ausstellung ‚wirklich – nicht wirklich II‘ im Kunstverein Barsinghausen am 25. Mai 2013 (Auszug)
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
‚wirklich – nicht wirklich II‘ ist der Titel dieser spannenden Ausstellung von Menno Aden, Andrej Henze und Hermann Reimer. Die drei Künstler bilden soweit ich weiß keine Gruppe, ich weiß nicht einmal, ob sie sich vor dieser Ausstellung überhaupt gekannt haben. Das spielt aber auch gar keine Rolle, denn der Kunstverein Barsinghausen hat sie hier unter dem schon genannten Titel ‚wirklich – nicht wirklich‘ extra für diese Ausstellung zusammengeführt. Und ich denke, dass die Verantwortlichen für diese Ausstellung gut daran getan haben, gerade diese Künstler auszuwählen.
Alle drei Künstler befragen in ihren Arbeiten nämlich das, was wir gemeinhin als ‚Wirklichkeit‘ bezeichnen und was uns im normalen Alltagsleben selbstverständlich vorkommt. Dabei gehen sie aber ganz unterschiedliche Wege. Wie sie das im Einzelnen machen, worin ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede liegen, darauf werde ich später genauer eingehen
Zunächst aber möchte ich noch kurz die normale Auffassung von ‚Wirklichkeit‘ in Frage stellen. Denn, dass man an dem, was man sieht, durchaus seine Zweifel haben kann, das haben Sie sicher alle schon selbst erlebt.
Denken Sie etwa an die berühmten sogenannten ‚Optischen Täuschungen‘ – Sie sehen etwa auf einer Zeichnung oder auch auf einem Foto zwei Figuren – die eine erscheint groß die andere klein – wenn Sie sie nun nachmessen, stellen Sie fest, dass sie exakt gleich groß sind. Ähnliches kennen Sie sicher von Geraden, die auseinanderzustreben scheinen in ‚Wirklichkeit‘ aber parallel laufen, an Grautönen, die völlig unterschiedlich aussehen, in ‚Wirklichkeit‘ aber gleich sind usw.
In all diesen Fällen gibt es also mindestens zwei ‚Wirklichkeiten‘ – eine wahrnehmungsmäßige und eine gemessene, also eine ‚subjektive‘ und eine ‚objektive‘ – wobei ‚subjektiv‘ auf keinen Fall meint, dass es weniger ‚richtig‘ ist. Wir sehen es ja so – und wir können das beim besten Willen nicht verhindern.
Nimmt man nun noch dazu, dass wir fast alles, was wir wissen – oder zu wissen meinen – nur aus zweiter Hand, nämlich durch Medien wie Fernsehen, Zeitungen oder Zeitschriften vermittelt, erhalten, dann gewinnt die Frage, was denn nun ‚wirklich‘ oder ‚nicht wirklich‘ ist, noch eine ganz neue Dimension. Jedes Foto, jeder Film ist nie nur eine genaue Dokumentation dessen, was die ‚Wirklichkeit‘ ist oder war. Immer ist die subjektive Auswahl des Menschen hinter der Kamera entscheidend dafür, was wir als Betrachter zu sehen bekommen. Die sogenannten ‚radikalen Konstruktivisten‘ sind sogar der Meinung, dass eine wirkliche ‚Objektivität‘ unmöglich ist, da es nie eine Übereinstimmung zwischen wahrgenommenem Bild und Realität geben kann.
Unabhängig davon aber kann man sagen, dass alle Künstlerinnen und Künstler in gewisser Hinsicht immer die uns so vertraut erscheinende Wirklichkeit in Frage stellen – gleich ob sie das bewusst tun oder nicht. Jedes Bild ist immer mehrdeutig, es besteht einerseits aus Farben und Formen, es verweist aber auch immer auf etwas, was ‚dahinter‘ liegt gleich ob es sich um ein ‚gegenständliches‘ oder ‚abstraktes‘ Bild handelt.
Das gilt natürlich ganz besonders für diese Künstler, alle drei thematisieren in ihrer Kunst die Möglichkeiten der Wiedergabe von ‚Wirklichkeiten‘.
…
In den Bildern von Andrej Henze gibt es unwirkliche, überwirkliche Momente. Von ihm sind in dieser Ausstellung zwei unterschiedliche Werkgruppen zu sehen – da sind einerseits die großen Landschaften, auf der anderen Seite die wie mit dem Vergrößerungsglas angeschauten scheinbar banalen Dinge.
Für alle seine Arbeiten gilt aber, dass sie mit größtmöglicher Perfektion gemalt sind. Alles ist nicht nur ‚realistisch‘ sondern man muss schon sagen ‚hyperrealistisch‘ wiedergegeben. Da stimmt jeder Lichtreflex, jede Schärfe oder Unschärfe. Man kann auch das jeweilige Material erkennen, gleich ob es eine Fliese, Porzellan, Metall oder Glas ist.
Dazu kommt bei ihm die Delikatesse in der Behandlung der Farbe. Wenn Sie sich die Bilder genauer anschauen, dann werden Sie feststellen, dass er auch in den Farben nichts dem Zufall überlassen hat. Da gibt es etwa ein Ocker, das gegen ein Blau gesetzt ist, ein farbiger Streifen läuft durch das Bild und gibt so die Möglichkeit, die Farbigkeit umzukehren.
Die Delikatesse der Malerei gilt auch für die großen Landschaftsbilder. Bei dem Bild ‚Autobahnlandschaft‘ spielt er neben den kalten und warmen Grautönen in den Wolken und in dem breiten Streifen unten mit dem Gegensatz von Rot in dem ‚Feld‘ und Grün in den fern liegenden ‚Bäumen‘.
Hier kommt nun noch ein interessanter inhaltlicher Aspekt zum Tragen. ‚Autobahnlandschaft‘ hat der Künstler dieses Bild genannt – aber die Streifen im unteren Bereich – was haben die mit einer Autobahn zu tun? Nun, ich denke, Andrej Henze hat hier eine schnelle Fahrt mit dem Auto über eine Autobahn imaginiert. Wenn wir dabei aus dem Auto zur Seite schauen, dann sehen wir in der Tat nur Streifen – das, was uns nah ist, wird so automatisch zu etwas ‚Nicht- Sichtbarem‘, erst das, was weit weg ist, gewinnt Gegenständlichkeit. Das ist paradox – aber es ist malerisch überzeugend.
Die zweite Arbeit von Henze, die ich mir mit Ihnen etwas genauer anschauen will, ist diese Caffettiera hier. Hier trifft das zu, was ich zu Beginn schon gesagt hatte. Ein Gegenstand ist isoliert wie mit dem Vergrößerungsglas betrachtet und gemalt worden. Wir schauen von schräg oben auf die Caffettiera – das untere Teil wird vom Bildrand abgeschnitten, das obere schwebt gewissermaßen vor dem Grund. Auch hier wird wieder mit farbigen Gegensätzen gearbeitet – die unterschiedlichen Brauntöne kontrastieren gut mit dem Blau des Hintergrunds.
Und wieder gibt es einen senkrechten Streifen in dem Bild – schaut man sich nun das Unterteil genauer an, dann gibt es da eine Merkwürdigkeit. Rechts des Streifens ist alles höchst exakt und genau wiedergegeben, auf der linken Seite aber scheint die Farbe anderen Gesetzen zu gehorchen. Das Grau und das Weiß schildern hier nicht Material und Form der Caffettiera, sie bilden ganz freie, unabhängige Winkel und Ecken. Hier macht Andrej Henze ganz subtil darauf aufmerksam, dass es sich bei seinen Arbeiten um Malerei handelt – das Handwerk des Malens ist hier Thema.
…
Wirklich – nicht wirklich……. das ist das Thema der Ausstellung. Alle drei Künstler zeigen auf ihre je eigene Art, was für sie Wirklichkeit ist. Sie stellen das in Frage, was gemeinhin als ‚wirklich‘ bezeichnet wird. Ich wünsche Ihnen viele interessante Einblicke in die je unterschiedlichen Wirklichkeitsebenen.
Dr. Reiner Grimm