aus der Rede zur Ausstellungseröffnung im Kunstraum Benther Berg (2016):
… Andrej Henze bemalt häufig sowohl Vorder- als auch Rückseite seiner Plexiglas-Bildträger – dadurch erreicht er etwas, was bei einer Malerei etwa auf Leinwand nicht möglich wäre. Es entsteht ein ganz natürliches Vorn und Hinten, schaut man sich beispielsweise ein Bild etwas von der Seite an, dann verschieben sich die Farbflächen – hier hat man es also mit einer neuen Art von Dreidimensionalität zu tun. Weiter ergeben sich durch das Übereinanderlegen von lasierten Farbflächen teilweise ganz neue Mischungen. Und das alles ist in so leuchtenden Farben gemalt, dass schon das Hinschauen eine Freude ist.
Die Plexiglastafeln selbst sind quadratisch, die darauf dargestellten Objekte erinnern vielfach an mikroskopische Aufnahmen. Es ist ein Blick in eine Welt, die uns auf den ersten Blick vage bekannt vorkommen mag, aber die uns auch fremd erscheint. Bezeichnend ist, dass sie in vielen Fällen auf die Mitte des Bildquadrats bezogen sind. Von hier aus breiten sie sich zu den Rändern hin aus. Symmetrien finden sich im Mikrokosmos der elementaren Bausteine, bei den Spiralnebeln in den Tiefen des Universums, in Kunst, Architektur, Literatur, Mathematik usw.
Schaut man sich die Arbeiten von Andrej Henze daraufhin noch einmal genauer an, dann stellt man fest, dass die Symmetrie nicht durchgängig vorherrscht. Bei den meisten Arbeiten gibt es kleine und große Abweichungen, die erst die Lebendigkeit hervorrufen. Am stärksten sind die Abweichungen etwa bei ‚Urtica‘ – da scheint ein Wesen, vielleicht eine Art Qualle sich von einem zerklüfteten Grund fortzubewegen. Da ‚hinter‘ dem Wesen auch noch so etwas wie Wasserblasen sein könnten, und die Bewegung von links nach rechts verläuft, ist die Illusion besonders stark.
Ganz anders sind die geometrischen Formen, etwa bei ‚reticulatus‘, die vollständig symmetrisch auf die Mitte bezogen sind. Häufig hat man bei diesen Bildern den Eindruck, dass der Künstler etwas, was er beispielsweise durch ein Mikroskop gesehen hat, auf dem Bild minutiös abgebildet hat. So könnten einige der Arbeiten durchaus in einem Lehrbuch für was auch immer abgedruckt sein, um etwas bildlich zu erläutern. Das ist aber natürlich nicht so. Andrej Henze ist ein Künstler, und er schafft Bilder, die nicht einfach abbilden, sondern die etwas neu erschaffen. Klee hat dazu den schönen Satz geprägt: „Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern Kunst macht sichtbar.“
Andrej Henze zeigt uns mit diesen beeindruckenden Arbeiten genau das, er macht etwas sichtbar – nämlich das Bauprinzip des Seienden überhaupt. Ausgehend von einfachsten symmetrischen Formen geht es in den Bildern bis zu lebendig wirkendem. Dinge oder Lebewesen, die auf ein Zentrum bezogen sind, gibt es in der Natur nur in der Botanik, also etwa bei Blumen, in der Zoologie nur bei einfachen Lebewesen wie etwa dem Seestern. Denn – so bedeutungsvoll die Symmetrie an sich ist, so wenig könnten wir in einer Welt existieren, die vollständig symmetrisch wäre. “Erst der Ausbruch aus der Symmetrie hat die Vielfalt alles Seienden hervorgebracht” (Henning Genz).
Dr. Reiner Grimm